Interview mit Allan Taylor
Pionier
Allan Taylor
Von Burkhardt van Hees
Geboren am 30.09. 1945 in Brighton, Sussex als Sohn einer Arbeiterfamilie, begann Allan Taylor mit 14 Jahren Gitarre zu spielen. Mit 17 folgten erste Auftritte im Stanfort Arms Folk Club, weil er damals der einzige war, der "Angie" von Davey Graham spielen konnte...
Der erste große Durchbruch kam 1968/1969, als Allan Taylor gemeinsam an einer Tournee durch England mit "Fairport Convention" teilnahm. Höhepunkt war ein Auftritt in der Royal Albert Hall. Daraufhin kam von United Artists der erste Schallplattenvertrag, und es entstand die LP "Sometimes" (1971). Mit der zweiten LP "The Lady" gewann er den Preis der "Folk Review" des Jahres. 1972 verließ Taylor England für zwei Jahre. Er lebte in den USA und wohnte u.a. in Long Beach und Long Island. Er verbrachte einige Zeit in Greenwich Village, in New York und spielte während dieser Zeit in einigen legendären Clubs, wie Gerdes Folk City, The Gaslight usw. Während dieser Zeit wurde die dritte LP "The American Album" in Nashville und Los Angeles aufgenommen. Allan Taylor begann fortan, weitgehend als Solo-Perfomer seinen musikalischen Weg zu suchen. So entstand 1978 die LP "The Traveller", die mit dem "Grand Prix du Disque de Montreux" als das beste europäische Album ausgezeichnet wurde. 1980, mit 35 Jahren, entschloß er sich zum Studium der Kunst, Philosophie und Ethnologie an der Universität Leeds. Es folgten harte Jahre in Leben von Allan Taylor, da er neben dem Unterhalt seiner Familie und seinem Studium auch Konzerttermine gab und neue Platten aufnahm. So entstand seine Doktorarbeit zum größten Teil während seiner Tourneen, in Hotelzimmern, Zügen und Flugzeugen. Taylor promovierte 1988 schließlich zum Thema Ethno-Musikwissenschaft. Während der Studienjahre entstanden die Alben "Roll On The Day", "Circle Round Again", "Win Or Loose" und "Lines". 1986 gründete er T-Records und veröffentlichte von diesem Zeitpunkt an seine Musik unter eigenem Label.
Ende 1996 veröffentlichte Taylor seine erste in Deutschland herausgegebene CD "Looking for You", ein Gemeinschaftswerk mit dem amerikanischen Gitarristen Chris Jones. Diese CD enthält erstmals ein Kompendium von zwölf Liedern aus 25 Jahren.
Du bist in Deutschland auf Tournee - welche Eindrücke hast du gesammelt? Kannst du mir etwas über das deutsche Publikum sagen? Was, würdest du sagen, ist der Unterschied zum englischen Publikum?
Allan Taylor: Ich denke, die deutschen Zuhörer, die zu meinen Konzerten kommen, verstehen meine Lieder besser als englischsprechende Leute. Ich denke, die Deutschen, die meine Lieder hören, konzentrieren sich so sehr auf den Text, weil sie die Lieder in einer fremden Sprache hören. Ein englischsprechendes Publikum hört nur seine eigene Sprache und konzentriert sich folglich nicht so sehr. Was ich damit sagen will, ist, daß der Vorteil für mich darin liegt, daß die deutschsprechenden Hörer den Text zwischen den Zeilen des Liedes, den Bezug, die Philosophie dahinter verstehen. Wirklich, sie verstehen mehr von meinen Liedern als ein englischsprechendes Publikum. Ich bin als Songwriter wirklich zufrieden, vor einem deutschen Publikum zu spielen.
Würdest Du sagen, daß die deutschen Zuhörer auch enthusiastisch sind?
Allan Taylor: Ja, sie sind sehr enthusiastisch, und ich denke, daß das von der deutschen Kultur kommt, sie hat eine große Geschichte der Worte, Poetik und Philosophie. Deutschland hat eine große literarische und musikalische Tradition. Ich denke gerade deswegen, daß es an der deutschen Psyche liegen muß, Text und Musik verstehen zu wollen.
Du hast bis jetzt 13 LPs und CDs veröffentlicht. Welche ist für dich heute davon die wichtigste Scheibe?
Allan Taylor: Die erste Platte, mit der ich total glücklich war, war "The Traveller". Auch deshalb, weil sie in einer wichtigen Phase meines Lebens herauskam - als ich beschloß, das große Plattengeschäft zu verlassen. Ich mochte sowieso die kommerzielle Einstellung nicht sowie die Leute in der Geschäftswelt - in New York, Los Angeles, Nashville, London etc. Also beschloß ich aufzuhören und zu einer sehr kleinen Company zu gehen und in die Folkclubs zurückzukehren. Das war ehrlicher und wirklicher für mich. Du stehst in einem Folkclub vor 80 bis 100 Leuten, und du mußt wissen, was du machst. Da gibt es keine Show. Du kannst mit einer riesigen Lightshow und tanzenden Girls etc. auf der Bühne stehen und trotzdem nicht sehr gut sein. Ich aber wollte zurück zu den Folkclubs.
Ich mag das Musikbusiness-Geschäft, die kommerzielle Seite der Musik nicht! Solange ich so viele CDs verkaufe, um die Kosten damit zu decken und die Kosten für die nächste Produktion zu erreichen, macht mir das nichts aus. Ich bin glücklich, CDs auf Konzerten zu verkaufen - und damit genug. Ich habe eine Entscheidung zu treffen - bin ich ein Musiker, oder bin ich Geschäftsmann? Und ich bin aber ein Musiker und Songwriter. So gut, wie ich kann, versuche ich natürlich ein Geschäftsmann zu sein, aber irgendwann muß ich sagen: genug! So sollte es sein.
Du hast mit "Fairport Convention" zusammengearbeitet. Kannst du etwas über diese Zeit sagen? Welche Bedeutung hat diese Gruppe für dich heute?
Allan Taylor: Ich spielte mit "Fairport" letzten Sommer in Cropredy. Gemeinsam spielten wir zwei Songs auf dem Cropredy-Festival in England. Vor 20 Jahren machten wir eine gemeinsame Tournee. Für mich waren die frühen "Fairport Convention" großartig, insbesondere Sandy Danny. Sie war die Größte in der britischen Folkmusik. Niemand kam an sie künstlerisch heran. Auch Richard Thompson war ein großer Songwriter. Ich bin nicht sicher, ob ich alles, was er heute macht, mag, aber er hat große Songs geschrieben. "Fairport" als Institution machen heute weiter, und ich mag sie. Sie sind große Musiker - ich hatte vergessen, wie gut sie eigentlich sind. Als ich im Sommer mit ihnen vor 20.000 Leuten auftrat - eine Woche vorher trafen wir uns für eine Stunde, um Lieder zu proben, die ich 15 Jahre nicht gehört hatte - also, als ich auf die Bühne ging vor diesen 20.000 Leuten und zu spielen anfing, da war die Gruppe "Fairport" da, und die Stimmung war phantastisch. So solide wie ein Fels. Sie sind großartige Musiker.
Du hast vor kurzem eine neue Platte veröffentlicht...
Allan Taylor: Ja, im Juni des letzten Jahres ging ich mit Günther Pauler, einem großartigen Toningenieur, in sein Studio in Nordheim. Mit uns war Chris Jones, der Klasse-Gitarrist, der in Hannover lebt und mit Geraldine McGowan spielt, und ich sagte zu Günther: "Laß uns eine Platte machen, ich habe aber keine neuen Lieder". Er sagte, daß das kein Problem sei, und "schauen wir mal, was dabei herauskommt". Also ging ich ins Studio und spielte vier Tage lang Lieder mit Chris. Das älteste Lied von dieser CD ist "Misty On The Water", das ich 1972 geschrieben habe; das neueste Lied ist wahrscheinlich "Joseph". Also viele alte Lieder, wie auch der "Traveller" oder "Crazy Man", "Cold Hard Town" und "Hard To Tell".
Viele deiner Lieder können als zeitlose Musik eingeordnet werden.
Allan Taylor: Ja, ich denke, ein gutes Lied sollte zeitlos sein. Wen du ein Lied aufnimmst, ist es in einer Zeit eingebunden, wegen des Stils der Musikinstrumente dieser Zeit, aber wenn du es rausnimmst, dann sollten Melodie und die Worte, die Texte zeitlos sein. Wenn man über fundamentale Emotionen spricht, über fundamentale Betrachtungen - sie sind auch zeitlos.
Wie läßt sich Allan Taylor in die Musikszene einordnen? Was würdest du über dich sagen, bist Du ein Folksänger, Chansonnier, lyrischer Poet, moderner Troubadour, musikalischer Geschichtenerzähler - oder ganz einfach ein Singer und Songwriter? Was ist deine Intention Musik zu machen?
Allan Taylor: Gut, die Intention jedes Menschen ist es, sich emotional, kreativ, physisch, intellektuell zu verwirklichen. Die Menschen wollen sich im Leben verwirklichen. Sie wollen ihr Potential verwirklichen. Die Frage ist, wie man das macht. Manche Leute bekommen große Erfüllung aus der Tatsache, Eltern zu sein. Ich bekomme diese Erfüllung im Leben dadurch, daß ich Musiker bin und Lieder schreibe. Das ist mein gewählter Weg, durchs Leben zu gehen. Es macht mir Spaß, Lieder zu kreieren und sie vorzuspielen. Ich genieße es, dabei zu reisen, ebenso den damit verbundenen Lebensstil.
Wie ich mich in der Musikszene einstufen würde? Ich bin eigentlich alles, was du gesagt hast, denn alle diese Kriterien treffen auf mich zu. Wenn du das Wesentliche nimmst, was ein Folksänger ist, so würde ich mich damit identifizieren. Gute Musik und Lieder zu machen - die besten Lieder sind gute Songs - bedeutet, daß du auf einer sehr feinen Linie arbeitest, daß du dich auf einem sehr feinen Grad bewegst zwischen fundamentalen Emotionen.
Kannst du etwas über deine Ausbildung als Musiker und Sänger sagen?
Allan Taylor: Ich fing mit 14 Jahren an, Gitarre zu spielen. Ich ging zu meinem ersten Folkclub, als ich 17 Jahre alt war, und spielte im Vorprogramm, d.h. ich begann, den Abend zu eröffnen und die Gäste vorzustellen. Ich war wohl die einzige Person in Brighton, die Davey Grahams "Angie" spielen konnte. Ich lernte es von der Platte. Da es niemand spielen konnte, gaben sie mir diesen Job. Mit 21 Jahren hörte ich damit auf und ging auf die Straße, fing an, Musiker zu werden. Ich hatte nie Musikunterricht. Ich lernte Gitarrespielen, indem ich andere Leute beobachtete und Platten hörte. Und ich lernte Lieder zu schreiben, indem ich traditionelle Folksongs anhörte, Sachen wie von Bob Dylan. Ich denke, je mehr du auf gute Songs hörst, desto mehr lernst du Lieder zu schreiben. Die englische traditionelle Musik ist für mich so herrlich. Ein traditioneller Folksong hält sich 200 Jahre, hat einen wunderbaren Sinn für Balance. Ich habe in meinem Buch gesagt, daß es etwas ist, das "weitergereicht wurde von Generation zu Generation mit arbeitenden Händen", es wurde sanft weitergereicht und bearbeitet und sanft weitergegeben an die nächste Generation. Und von dieser Generation wird es langsam verändert. Und so wird es etwas herrlich Ausbalanciertes. Also, so war meine Ausbildung. Aber nachdem ich ungefähr acht Platten gemacht hatte, ging ich zur Universität und studierte Philosophie und Musik und promovierte in Philosophie. Aber ich muß sagen, daß ich fast alles, was ich gelernt habe, vor der Universität gelernt habe. Die Universität lehrte mich, wie man Thesen auf akademische Art und Weise schreibt. Aber ich denke, daß ich das meiste, was ich über Philosophie lernte, schon durch mein Leben als Musiker und Herumreisender in der Welt wußte. Die Universität lehrt einen, sehr präzise und exakt zu sein. Aber sie beeinflußte nicht mein Liederschreiben. Sie machte das Liederschreiben sogar schwieriger, da die Kriterien schwerer zu erreichen sind, da man mehr von sich selbst erwartet - immer nur das Beste - und es ist schwer, immer so gut zu sein.
Nachdem ich mein Studium beendet hatte, ließ ich dies alles hinter mir. Und so ist es mit allen Dingen in meinem Leben gegangen, die ich gelernt habe - außer der Musik. Sobald ich wußte, ich konnte sie, ließ ich sie hinter mir. Das gleiche passierte bei mir mit dem akademischen Leben. Es interessiert mich nicht im geringsten.
Welches sind deine musikalischen Idole und Vorbilder? Oder anders gefragt: Wodurch erhältst du deine Ideen?
Allan Taylor: Als ich jung war, hatte ich Idole, jetzt nicht mehr so sehr. Weißt du, als junger Mann war damals mein Vorbild Davey Graham. Er war der erste, der unterschiedliche Tunings auf der Gitarre benutze. Er benutzte diesen Stil noch vor der großen Zeit von John Renbourn, Bert Jansch und John Martyn. Er war der erste. Aber jetzt spielt er nicht mehr. "Dead God" war eines seiner großartigen Stücke. Graham war der erste, der traditionelle Songs mit dem modernen, neuen Gitarrenspiel verwirklichte. Davey Graham war ein Held für mich. Jahre später arbeitete ich mit ihm auf einer Tournee durch Belgien. Er hatte einen großen Einfluß auf mich - ich verehrte ihn. Er feuerte sozusagen meine Vorstellungskraft an. Eine weitere Person, die ich wirklich sehr respektierte, war Tom Paxton. Ich liebte seine Lieder, denn sie waren so einfach. Durch ihn erkannte ich zum ersten Mal, daß es ganz schön schwierig sein kann, einfach zu sein, einfach auf dem lyrischen Gebiet. Es ist schwer, einfach zu sein und dabei etwas auszusagen. Folksongs sind sehr einfach, dennoch sind sie von großem Wert und großer Tiefe. Popsongs dagegen sind einfach, aber sie sagen nichts aus. Tom Paxton konnte etwas Schönes und wirklich aus der Tiefe Kommendes sagen. Er arrangierte es auf sehr einfache Art und Weise mit seinem ebenso einfachen Gitarrenspiel. Ich lernte viel von dieser Einfachheit, der Bedeutung des Minimalismus. Eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben ist der Minimalismus. Ich tue nur, was absolut notwendig ist in der Musik. Das gleiche tue ich mit Worten, denn ich sage: Entferne alle Worte, bis nur die wichtigsten übrigbleiben, den Rest, der übrig ist, den werfe einfach weg! Dies erkannte ich bei Tom Paxton, aber z.B. auch bei Martin Carthy, der mich auch wegen seines Gitarrenspiels interessierte. Er ist ein großer Gitarrist. Nicht so sehr als Sänger, aber sein Gitarrenspiel ist exzellent, und die Art und Weise, wie er ein Lied begleitet, ist sehr, sehr interessant.
Das war meine Inspiration in jenen Tagen vor 25 Jahren. Seit dieser Zeit gibt es nicht mehr soviel Einfluß für mich, dafür aber Menschen, die in meinem Denken eine Rolle spielen, wie Randy Newman. Nach meinen Vorstellungen ist er der größte Songwriter, hervorzuheben noch vor Bob Dylan, obwohl ich Dylan sehr mag. Weiterhin zähle ich dazu den großen Liedermacher Jacques Brel, dessen musikalisches Werk ich liebe - wie das von Piaf auch.
All diese Leute hatten musikalischen Einfluß auf mich. Aber auch Leute wie Schostakowitsch, der russische Komponist. Ich bewundere und liebe seine Musik und seine Fähigkeit, unter Stalin zu überleben. Auch Theodorakis, den großartigen Komponisten, den großen Mann und Humanisten, Kämpfer für die Wahrheit. Solche Leute inspirieren mich nicht, sie zu kopieren. Sie dienen als etwas, das man selbst nicht tun kann. Zu solchen Leuten zählt auch Wolf Biermann. Mit ihm sprach ich einige Male, und ich muß sagen, ich respektiere ihn wirklich. Seiner Musik zuzuhören, empfinde ich, ist schwierig für mich, aber als Mensch, als Poet, ist er großartig. Solche Menschen inspirieren mich.
Nun ein paar Fragen zu deiner Gitarre und Spieltechnik. Auf welchen Gitarren spielst du?
Allan Taylor: Ich spiele zwei Gitarren, eine 79er Martin D 18 und eine 69er Martin D 28. Die D 18 ist bisher meine alltägliche "Arbeitsgitarre". Sie ist leicht zu spielen und wiegt wenig, was wichtig ist, weil ich in einem Konzert manchmal zwei Stunden spiele, und wenn die Gitarre dann am Körper zu schwer ist, kann man nach ein paar Tourneejahren Rückenschmerzen bekommen. Die D 28 hat einen größeren, wärmeren Sound, aber man muß daran arbeiten, um den Sound zu bekommen. Ich benutze sie für Plattenaufnahmen. Diese Gitarre muß mit einem wesentlich härteren Anschlag gespielt werden als die D 18, um den Klang herauszuholen, aber sie ist es wert, weil sie im Ton reich ist, tief und weich - alles, was eine gute Martin sein sollte. Beide Gitarren sind nach meinen Vorstellungen verändert worden. So mit doppeltem Schlagschutz. Obwohl ich normalerweise mit den Fingern spiele, benutze ich beim richtig kräftigen Sound meistens einen Fingerpick und manchmal auch ein Plektrum - die Decke würde ohne Schutz zerkratzen. Auch wurde der Hals jeweils modifiziert. Da ich kleine Hände habe, wurde der Rücken des Halses etwas flacher gestaltet. Davon abgesehen gibt es nichts Spezielles bei meinen Gitarren. Jede Gitarre hat einen L.R. Baggs Tonabnehmer (Ribbon Transducer) unter dem Steg. Zur Vorverstärkung verwende ich einen elektronischen parametrischen Equalizer von T.C. Electronics.
Wie würdest du dein Fingerpicking beschreiben?
Allan Taylor: Ich habe ein eigenes entwickelt. Als ich jung war, hörte ich eine Menge Klassischer Musik. Mein Stil ist immer sehr exakt und klar, so daß man jede Note hören kann. Das kommt vom Hören der Klassischen Musik. Eine Menge meiner früheren Sachen war darauf aufgebaut. Ich glaube, daß ich jetzt meine eigenen Stil entwickelt habe. Die Leute sagen mir, wenn sie ein Gitarrenstück hören, ob es von mir ist oder nicht. Ich kann nicht sagen warum, aber wenn ich ein Stück von Martin Carthy höre, dann weiß ich auch, daß es Martin Carthy ist. Also, was ich sagen will: Man entwickelt seinen eigenen Stil.
Eigentlich spiele nur mit den Fingernägeln. Die Probleme kommen allerdings, wenn die Nägel zu lang sind. Da erinnere ich mich an eine Episode mit Pierre Bensusan in einem Veranstaltungszelt vor 20 Jahren in Belgien. Wir sprachen dort über das Gitarrenspiel und die Finger. Wir stimmten darin überein, daß man den besten Ton bekommt, wenn die Saite zuerst die Fingerkuppe berührt und dann erst den Nagel. Wenn du die Saite nur mit dem Nagel berührst und dieser zu lang ist, wird der Ton zu scharf. Wenn nur die Fingerkuppe die Saite berührt, ist der Ton zu soft. Man braucht beides. So solltest du deine Fingernägel nur ein wenig über die Fingerkuppe hinauswachsen lassen - dann gibt es einen großartigen Ton. Was ich benötige, ist ein Daumenpick, denn ich muß meine Hand in die richtige Position bringen. Der Daumenpick gibt mir die Möglichkeit, klassisch richtig mit den Fingern zu spielen.
Wie steht es bei dir mit Open Tunings?
Allan Taylor: Manchmal benutze ich Open Tunings, und in letzter Zeit habe ich versucht, den gleichen Effekt mit normalen Tunings zu erreichen. Das ist aber extrem schwierig. Mit Open Tunings bekommt man interessante Klänge - ohne irgend etwas Schwieriges zu tun. Laß uns mal ehrlich sein: So ist es doch. Ein sehr schönes Tuning ist bei dem Song "Lady Is The Loving Kind", wo ich das Tuning E-A-A-A-E-A-E benutzt habe. Dick Gaughan zeigte mir diese Stimmung, denn er benutzt sie selbst sehr oft. Meistens aber bleibe ich bei der Normalstimmung.
Wenn du einen Song schreibst, was kommt bei dir zuerst: die Melodie, das Gitarrenspiel oder der Text?
Allan Taylor: Alle Möglichkeiten sind gegeben: Manchmal sitze ich in einem Flugzeug, und mir kommen die Worte, und dann muß ich die Noten später schreiben; manchmal gehen mir viele Noten durch den Kopf, und ich bin in der Lage, Noten zu schreiben, seit ich 11 Jahre alt war. Wenn ich mich jetzt ans Klavier setze, schreibe ich dir in zwei Sekunden Noten dafür. Ich will nicht angeben, aber sie fallen wirklich geradezu aus meinem Kopf. Das Beste ist, wenn Text und Noten zusammenkommen. Bei "Misty On The Water" wurden Text und Musik in 20 Minuten zusammengeschrieben. Für "Joseph" brauchte ich drei Monate. Für "Piaf" brauchte ich zwei Jahre. Also, es ist alles möglich, wie du siehst.
Ein guter Abschluß für unser Interview. Vielen Dank, Allan Taylor.
Diskographie
LP: Sometimes (United Artists Records, 1971)
LP: The Lady (United Artists Records, 1972)
LP: The American Album (United Artists Records, 1973/77)
LP: Cajun Moon (Chrysalis Records,1976)
LP: The Traveller (Rubber Records,1978)
LP: Roll On The Day (1980)
LP: Circle Round Again (Black Crow Records, 1983)
LP/MC: Win Or Loose (T-Records, 1986)
LP/CD: Lines (T-Records, 1988)
CD: Out Of Time (T-Records, 1991)
CD: So Long (T-Records, 1993)
CD: Faded Light (T-Records, 1995)
MC: Libertas Ragusa (T-Records, 1996)
CD: Looking For You (Stockfisch Records, 1996)